Mit LOVE**WORK erforschen wir in einem mehrjährigen Prozess gemeinsam mit Expert*innen und Publikum dieses *Dazwischen*, die positiven genauso wie die negativen Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen der Liebeswelt und dem Arbeitsleben. Die Recherche startete mit einem Zyklus von sechs Veranstaltungen im Kulturzentrum Helferei. Die Themen der Abende waren so unterschiedlich wie die ausgewählten Formate und werfen Schlaglichter auf dieses breite und oft diffuse Themenfeld. Uns interessierte dabei besonders, zu erfahren, wie Menschen ihre Lebenswelten gestalten würden, wenn sie komplette Freiheit hätten. Diesen Fokus auf «mögliche Lebensentwürfe» werden wir in der weiteren Arbeit am Projekt verstärken. Wir versuchen dem Thema so unvoreingenommen wie möglich zu begegnen und sind uns gleichzeitig unserer feministischen und konsumkritischen Haltung bewusst.
Diese Recherche mit Teilhabe des Publikums setzen wir während zwei Residenzen fort, im Mai 2024 im Arts-Center HOME in Manchester und im Oktober 2024 im Kunst-Zentrum WORM in Rotterdam.
Alle Veranstaltungen werden dokumentiert. Das gesammelte Material behandeln wir vertraulich und werden es in ausschließlich anonymer Form weiterverwenden. Im Februar 2025 planen wir eine Inszenierung im Fabriktheater der Roten Fabrik, die auf dieser Recherche beruht.
Mit LOVE*MARKET*WORK starteten wir unseren Zyklus in der Kapelle der Helferei Zürich. In Form eines alternativen, kostümierten Speeddatings gingen wir der Frage nach, wie sich unser eigenes Beziehungsnetz zusammensetzt. Für die Gäste standen Kostüme standen zur Verfügung.
Für die Gesprächsrunden stellten wir Fragekarten bereit, die sich die Gäste gegenseitig stellen konnten. Zur Auflockerung vor und zwischen den Gesprächen führte uns die Tänzerin Linda Trolese in die Welt des Bal-Folk ein, begleitet von Live-Musik des Akkordeonisten Zé Oliveira.
Anna Cherepanova und Vitalii Cherepanov (CID) dokumentierten den Abend mit Zeichnungen.
Linda Trolese gibt Workshops, Kurse und ganze Seminarwochen in Bal-Folk und Contact-Improvisation. Sie unterrichtete Tanz-Module an der ZHdK, spielte in verschiedenen Bühnenstücken und ist Mitbegründerin der Association Vivante in Frankreich. Ihre Tanzausbildung genoss sie am SEAD (Salzburg Experimental Academy of Dance) und TIP Freiburg im Breisgau. Lebt in Zürich.
Zé Oliveira interpretiert Volksmusik neu. In seinen Eigenkompositionen und Interpretationen lässt er Elemente aus Jazz, Blues, Musette, Tango, Funk oder World-Music einfliessen. Er spielt für Tanz, Performance, Theater sowie für Feiern aller Art, wie im Tram oder als Spitalmusiker (Dipl. DUMIMS Frankreich). Mit eigenen digital-generierten Bildkompositionen kreiert er Kinokonzerte. Lebt in Zürich.
Für LOVE*CARE*WORK haben wir vier Expertinnen eingeladen, die sich aus ihrer Arbeit mit der 24-Betreuung auskennen. Zum Auftakt des Abends starteten wir mit der Übung “Klangwald” (nach Augusto Boal), die spielerisch Vertrauen und Verantwortung erfahrbar macht: Eine Person produziert einen Klang mit der Stimme und führt so ihre Partner:in durch den Raum, die andere Person folgte dem Klang mit geschlossenen Augen.
In informellen kleinen Runden teilten die vier Expertinnen ihre Erfahrungen und ihr Wissen mit uns. Bożena Domańska und Regina D. erzählten von ihrem Arbeitsalltag, ihren Lebensbedingungen und wie ihre Familien ohne sie zurechtkommen. Sarah Schilliger berichtete über die politischen Hintergründe und sozialen Realitäten dieses prekären Arbeitsmarktes und Nora Riss vom FIZ über die rechtliche Situation.
Anna Cherepanova und Vitalii Cherepanov dokumentierten den Abend mit Zeichnungen
Bożena Domańska arbeitet seit 32 Jahren in der 24h-Alters- und Pflegebetreuung in Deutschland und der Schweiz. 2013 war sie die erste Betreuerin in der Schweiz, die bessere Arbeitsbedingungen und bezahlte Überstunden erfolgreich vor Gericht einforderte. Dafür wurde sie für den Prix Courage nominiert. Sie schilderte ihre Situation in Dokumentarfilmen und im Club SRF. Sie war Mitgründerin des Netzwerkes Respekt@vpod, das sich für bessere Arbeitsbedingungen von privaten Betreuer*innen einsetzt, Treffen organisiert, Beratungen anbietet und Öffentlichkeitsarbeit macht. Sie ist in Polen aufgewachsen, hat dort eine Schreinerlehre absolviert und mit ihrem Mann einen eigenen Bauernhof betrieben. Heute lebt sie in Basel, hat eine erwachsene Tochter und eine Enkeltochter, die beide auch in Basel leben.
Regina D. arbeitet seit 14 Jahren in der Schweiz in der 24h-Alters- und Pflegebetreuung, seit 10 Jahren für dieselbe Firma. Auch sie ist Mitglied beim Netzwerk Respekt@vpod. Sie hat Germanistik studiert und früher in Polen in der Krankenpflege gearbeitet. Sie ist Mutter von vier erwachsenen Kindern und pendelt zwischen Breslau in Polen und Basel.
Sarah Schilliger untersuchte in ihrer Dissertation ‘Pflegen ohne Grenzen?’ (2014) die Arbeits- und Lebensrealitäten polnischer Care-Arbeiterinnen. Sie setzte dabei die Herausbildung dieses prekären Arbeitsmarktes in einen Zusammenhang mit veränderten Geschlechterverhältnissen, aktuellen Umbrüchen im Migrationsregime sowie wohlfahrtsstaatlichen Restrukturierungen im Care-Bereich. Sie war mitbeteiligt beim Aufbau des Netzwerkes Respekt@vpod. Aktuell leitet sie an der Universität Bern ein internationales Forschungsprojekt zu solidarischen Initiativen und Bewegungen in den Bereichen "Rechte von Migrant*innen", "Wohnen" und "Care". Die Mutter von einem Sohn lebt in einer Gross-WG in Bern.
Nora Riss ist Juristin und Projektleiterin bei der FIZ im Projekt Arbeitsausbeutung. Dieses bietet juristische und opferhilferechtliche Beratung und Unterstützung für von Arbeitsausbeutung und Menschenhandel betroffene Frauen. Der Fokus richtet sich auf Care-Migrant*innen. Die FIZ ist eine Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration und hilft Betroffenen von Menschenhandel, Gewalt und Ausbeutung. Sie lebt in Aarau.
An diesem Abend haben wir Erwerbstätige und Nicht-Erwerbstätige eingeladen, mit uns zu kochen und mit weiteren Gästen, die nach getaner Arbeit dazu kamen, zu essen. Beim gemeinsamen Kochen und Essen tauschten wir uns darüber aus, wie sich ihr freiwilliges oder unfreiwilliges Nicht-Arbeiten, bzw. ihre Erwerbsarbeit auf ihr Leben und ihr persönliches Umfeld auswirkt.
Anna Cherepanova und Vitalii Cherepanov dokumentierten den Abend mit Zeichnungen.
Für LOVE*SEX*WORK haben die Sexualpädagogen Heike Junge und Christoph Stalder einen Workshop zum Thema Stress und Sexualität vorbereitet. Ausgehend von theoretischem Wissen haben wir uns darüber ausgetauscht, welche Faktoren die Lust fördern oder hemmen können. In spielerischen und sinnlichen Übungen und in der Selbstreflexion erforschten wir Lust, Intimität und Selbstliebe. Wir gingen der Frage nach, wie sich Arbeitsalltag, Stress, Über- und Unterforderung aufeinander auswirken und wie wir mehr Sinnlichkeit und Lust in unser Leben bringen können.
Heike Junge ist Sexualpädagogin, Sozialarbeiterin, Künstlerin, Mutter. Da Themen wie Sexualität, Geschlecht, Körperlichkeit, Kontakte und Beziehung, Grenzen und Gefühle, Medien, Pornografie und die Vielfalt wichtige Inhalte ihrer Arbeit als Sozialarbeiterin sind und diese auch gesamtgesellschaftlich von Bedeutung sind, hat sie sich 2019 entschieden, ihr Wissen innerhalb des Studienganges Sexualpädagogik zu vertiefen. Sie lebt in Zürich.
Christoph Stalder interessiert sich für die Sinnlichkeit und die Kraft der Sexualenergie in allen Lebensbereichen und -situationen. Er arbeitet als Schulsozialarbeiter und als Sexualpädagoge im Klassenzimmer. Er ist auch Natur- und Wildnistrainer und Hausmann und lebt in Aarau.
Bei einer generationenübergreifenden Erzählwerkstatt konnten sich die Teilnehmer:innen anonym zum Thema Liebe und Arbeit austauschen. Zu Beginn des Abends lasen wir mit den Teilnehmer:innen Geschichten, die wir in vorgängigen Projekten gesammelt hatten und stimmten uns so auf das Thema ein. Anschliessend hatten alle Teilnehmer:innen Zeit, ihre Erfahrungen, Gedanken und Visionen aufzuschreiben. In der abschliessenden Runde lasen wir uns gegenseitig die gesammelten Texte vor.
Der Abend startete im Foyer der Helferei, wo Imran Mushter Nafees Bilder, Videos und Texte zeigte, die in Zusammenarbeit mit migrantischen Arbeiter*innen in Pakistan entstanden sind. Es folgte die multidisziplinäre Performance “Pardes” von Imran und Amna Mawaz Khan, begleitet von Live-Musik von Trixa Arnold und Ilja Komarov. Durch Theater, Tanz, Video und Musik erzählt “Pardes” von Wanderarbeiter:innen aus Pakistan, die auf der Suche nach Arbeit in die Golfregion reisen, und was es bedeutet, ein von Abwesenheit und Sehnsucht geprägtes Leben zu führen. Die ganze der Kapelle der Helferei diente als Bühne und das Publikum konnte sich während der Performance frei im Raum bewegen.
Imran Mushter Nafees ist bildender und darstellender Künstler. Er will mit seiner Kunst zum sozialen und politischen Wandel beitragen, den Status Quo stören und Machtstrukturen hinterfragen. Seine Verletzlichkeit und Sensibilität verwandelt er in eine erkenntnistheoretische Position, die zur Produktion eines vielschichtigen Dialogs anregt. Er schafft Plattformen, die Menschen ermächtigen, sich auszudrücken, darunter Frauen und Kinder aus marginalisierten Gemeinschaften. Er ist Gründungsmitglied des Institute of Performing Arts, des Künstlerkollektivs Dugdugi (Islamabad) und der kreativen Widerstandsgruppe 'Laal Hartaal'. Er stellt auf nationalen und internationalen Plattformen aus und kuratiert. Er ist in der Familie eines migrantischen Arbeiters aufgewachsen und erforscht seit mehreren Jahren mit Arbeiter*innen und ihren Angehörigen ihre Geschichten der Unzugehörigkeit. Er lebt in Karachi, Pakistan.
Amna Mawaz Khan arbeitet an der Schnittstelle von Kunst und Politik, mit der Absicht, an der erstarrten Oberfläche der Strukturen zu kratzen, die das Ungleichgewicht in der Welt aufrechterhalten. Im Alter von elf Jahren begann sie unter Guru Indu Mitha mit der Ausbildung in den südasiatischen Tanzformen. Sie hat einen Master in Pakistan-Studies von der Quaid-i-Azam-Universität (Islamabad) und absolviert derzeit einen weiteren Master in Transkulturellen Studien an der Universität Heidelberg. Sie bewegt sich zwischen Tanz, Schauspiel, Schreiben und Film. Sie war als Choreografin tätig, führte Regie und spielte in Theaterstücken. Sie ist in Pakistan, Indien, China, der Schweiz, den USA, Deutschland und dem Vereinigten Königreich aufgetreten und hat Workshops gegeben. Sie pendelt zwischen Islamabad und Heidelberg.
Residenz in HOME Manchester UK
Während unserer Residenz in Manchester führten wir unsere Recherche fort. Am Intergenerational Storytelling Workshop kamen Menschen aus unterschiedlichen Generationen zusammen und tauschten sich anonym aus. Am Dance and Talk Workshop tanzten wir Dandiya mit der Künstlerin Deshna Shah und führten Gespräche in Zweiergruppen.
Während unseres Aufenthalts in Manchester hatten wir das Vergnügen, Jolene Sheehan zu treffen. Mit ihrem Sozialunternehmen Joy Ethic bietet Jolene Erfahrungs- und Erlebnisräume in Unternehmen und Gemeinden, die den Menschen helfen, sich mit sich selbst und ihrem Umfeld auf sinnvolle Weise zu verbinden. Eines dieser Projekte ist das gemeinschaftliche Schreibprojekt The Stories of our Lives in Manchester.
Jolene trug zu unserem Projekt LOVE**WORK mit zwei Workshops bei, die sie am 3. und 17. August in Manchester durchführte. Zu Beginn der Workshops tauschten sie ihre erste spontanen Gedanken zum Thema aus. Anschließend wählten sie zwei bis drei Texte aus einer Sammlung und lasen sie sich gegenseitig vor, woraus weitergehende Gespräche und Diskussionen entstanden.
Der Workshop bot der Gruppe Raum, über wichtige Themen wie Identität, Status, Wertvorstellungen und sich daraus ergebende Widersprüche nachzudenken. Das Thema Arbeit wurde zum Schauplatz dieser Dynamik, wobei die Bedeutung der Selbstliebe als roter Faden diente. Die Teilnehmer*innen, von denen die meisten über 70 Jahre alt waren, brachten besondere und wertvolle Perspektiven ein. Ihre Reflektionen sind geprägt von Neugier, Mitgefühl und einem ausgeprägten Bewusstsein dafür, wie Alter und sozialer und kultureller Druck unser Verhältnis zur Arbeit prägen. Diese Workshops ermöglichen es den Teilnehmern, die Weisheit ihrer Lebenserfahrung zu erkennen - ein Wert, der in unserer Gesellschaft oft unterschätzt wird.
Wir danken Jolene und Joy Ethic für ihre wichtige und wertvolle Arbeit und für ihren Beitrag zu unserem Projekt. Und wir hoffen, dass wir bald wieder mit ihr zusammenarbeiten können.
Freies Musiktheater Zürich
c/o Trixa Arnold
Ritterstrasse 8
8032 Zürich
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